Dass ein Apfel am Tag in England den Doktor fernhält, das wissen schon die kleinsten Lerner der englischen Sprache. Dass aber ein guter Riesling denselben Effekt besitzt, das lernt man erst im Erwachsenenalter, wenn man einmal in Hochheim am Main vorbeigeschaut hat. Genau das tat Königin Victoria von Großbritannien und Irland im Jahr 1845 auf ihrer ersten Auslandsreise, als sie auf dem Weg von Mainz nach Frankfurt kurz in Hochheim anhielt und sich einen Riesling im angeblich besten Weinberg einschenken ließ. Ihre Begeisterung für den Rheingauer Wein hatte nachhaltige Folgen und seitdem weiß man eben in England: „Good Hock Keeps off the Doc“.
Am Samstag wandelten die Mitglieder, Freunde und Gäste der „Royal Tunbridge Wells – Wiesbaden Vereinigung“ auf den Spuren von Königin Victoria. Dort, wo sie angeblich Halt machte, erhebt sich das stolze, gerade frisch renovierte „Königin-Victoria-Denkmal“, und genau hier legten auch die Wanderer des Wiesbadener Partnerschaftsvereins einen Stopp „mit Überraschung“ ein, wie es in der Vorankündigung hieß. Reiner Flick, der Inhaber des Weinguts Joachim Flick, das heute den „Königin Victoriaberg“ herstellt und verkauft, war dort zugegen und begrüßte die Wiesbadener Gäste mit einem äußerst kundigen Vortrag über die Geschichte des Denkmals und über die nachhaltige Herstellung des geadelten Weines heute.
Noch erfrischender aber schmeckte den Wanderern der „Victoriaberg“ selber, der von einem Mitglied der Vereinigung, dem gebürtigen Hochheimer Klaus Doesseler, zusammen mit seiner Frau am Fuße des Denkmals ausgeschenkt wurde. Auch er wusste noch manche humorvolle Geschichte über das Aushängeschild des Hochheimer Rieslings zu berichten. Denn ob die Königin wirklich an dieser Stelle aus ihrer Kutsche ausstieg und den guten Hock probierte, und ob sie das wirklich am 15. August 1845 tat, wie es bei Wikipedia behauptet wird, das ist nicht unbedingt ausgemacht. Aber dass der „Victoriaberg“ seit vielen Jahren zu festlichen Anlässen im englischen Königshaus serviert wird, das ist eine Tatsache, die diesseits und jenseits des Ärmelkanals wohlbekannt ist.
Dass der Victoriaberg die Engländer und die Deutschen verbindet, das unterstrich auch der Besuch des Vorsitzenden des Wiesbadener Partnerschaftsvereins in Tunbridge Wells nur wenige Tage vor dem Spaziergang zum Denkmal. Friedrich Schrecker hatte den Freunden in der englischen Partnerstadt ein paar Flaschen Victoriaberg mitgebracht, und so wurden auf dem ersten ganz analogen Wiedersehen in den „Pantiles“ von Tunbridge Wells nach zwei Jahren Pandemie endlich wieder Pläne für die Zukunft der Städtepartnerschaft geschmiedet.
Vom Königin-Victoria-Denkmal spazierten die Wanderer schließlich zurück in die Hochheimer Altstadt und ließen den Ausflug in einer Straußwirtschaft in geselliger Runde ausklingen, nicht ohne zuvor noch von einem weiteren Mitglied der Vereinigung, Kristiane Kröckel, über Königin Victoria und die historischen und politischen Hintergründe ihrer Rheinreise 1845 ausführlich informiert zu werden. Gestärkt mit diesem Wissen und dem guten Hock fühlten sich die Anwesenden gewappnet, um den Unbilden der Pandemie weiter trotzen zu können. Und im Bewusstsein der Partnerschaft mit Tunbridge Wells, die schon 1960 von ehemals verfeindeten Kriegsveteranen auf den Weg gebracht wurde, glauben sie auch in diesen düsteren Tagen eines Krieges in Europa weiter an die Idee der Völkerverständigung.