„Für uns heute ist erstmal nur das Bild von der Queen und dann das Porträt von Mrs Cholmondeley wichtig. Warum? Nun, die englischen Royals hatten mehr mit Wiesbaden zu tun, als man vermuten könnte. Und Mrs Cholmondeley, ausgesprochen übrigens wie „Tschammli“, nun ja, die war sicher nie in Wiesbaden gewesen, aber so ungefähr stelle ich mir die ersten adligen Kurgäste vor, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts aus England in die Stadt des Kochbrunnens und des Spielcasinos kamen. Und die sich hier pudelwohl fühlten.“
So begann die Stadtführung auf englischen Spuren am Samstag, dem 29.01.2022 vor dem Museum Wiesbaden. Der Partnerschaftsverein „Royal Tunbridge Wells – Wiesbaden Vereinigung“ hatte dazu eingeladen, der Pandemie am besten an der frischen Luft die Stirn zu bieten, und fast 30 interessierte Wiesbadener waren gekommen, um sich über den Einfluss der früheren englischen Kurgäste und der späteren Royals auf die Stadt Wiesbaden zu informieren. Keine Frage, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren hervorragend informiert über ihre Heimatstadt. Wer wüsste auch nicht, dass es in Wiesbaden eine „Englische Kirche“ und ein „Bowling Green“ gibt, und dass die Queen im Mai 1965 der hessischen Landeshauptstadt einen Besuch abstattete.
Aber dann gab es eben doch die eine oder andere überraschende Neuigkeit, wie z.B. vom ehemaligen „Hotel Monopol-Metropol“ in der Wilhelmstraße. Wo heute noch die schönen Ananastörtchen verkauft werden, da saßen zur Jahrhundertwende die englischen Kurgäste zum „Five o’clock tea“ zusammen und ließen es sich gut gehen. Und auf dem Warmen Damm fühlten sie sich fast wie zu Hause auf der Insel, denn dieser Park war nach dem Vorbild eines englischen Landschaftsgartens angelegt. Und auf dem Bowling Green wurde wirklich Bowls gespielt, jenes englische Kugelspiel mit den raffiniert austarierten Kugeln, die einen Bogen beschreiben können. Und dann der „Cursaal“ mit Tanzfläche und Spieltischen, an dem sich die Geister schieden. Da gab es Sir Francis Head, den Autor des Büchleins „Bubbles from the Brunnens of Nassau“, der das Glücksspiel verdammte und sich entrüstet abwendete. Aber da gab es auch den englischen Maler George Barnard, der von den menschlichen Leidenschaften in der „Spielhölle“ fasziniert war und sie zeichnerisch verewigte in seinen „Views of the Brunnens of Nassau and the River Lahn“.
Diese englischen Spuren entstammten allesamt einer heiteren und unbeschwerten Zeit, in der sich die damaligen Reiseweltmeister in Wiesbaden aufhielten. Aber es gab auch düstere Zeiten im deutsch-englischen Verhältnis. Im Kurviertel waren die meisten Bomben der Royal Air Force in der Nacht vom 2. zum 3. Februar 1945 niedergegangen, und das ehemalige „Hotel Vierjahreszeiten“ ging in jener Nacht unter, genauso wie das Kurhaus, das Theater, das Rathaus und das Lyzeum. Diese Spuren der Zerstörung konnten die Teilnehmer/innen dann bald selber erkennen, immer da, wo im Kurviertel die wilhelminischen Prunkfassaden fehlen und der Baustil der 50er und 60er Jahre überwiegt. „Wie gut, dass sich die Kriegsveteranen aus Tunbridge Wells und Wiesbaden dann im Jahre 1960 die Hände reichten. So begann das nämlich mit der Städtepartnerschaft, und in diesem Geist der Versöhnung stehen wir heute noch mit unseren Partnern aus England in freundschaftlicher Verbindung.“
Und die englischen Royals, was haben die nun mit Wiesbaden zu tun? Nun ja, die Queen trug sich im Stadtschloss ins Goldene Buch der Stadt Wiesbaden ein, im Hessischen Landtag also, und nicht etwa im Wiesbadener Rathaus. Denn es herrschte Kalter Krieg im Jahre 1965, und genau wie Präsident Kennedy 1963 wollte die Queen unterstreichen, dass die Westmächte zu ihren Sicherheitsgarantien für Deutschland stehen. Denn Hessen lag an der Grenze zwischen NATO und Warschauer Pakt. Kein Zufall also, dass sie die Landeshauptstadt von Hessen besuchte und nicht einfach nur die Stadt Wiesbaden.
Schon lange vor der Queen aber war Prinzessin Victoria von Großbritannien und Irland in Wiesbaden gewesen, genannt „Vicky“, die älteste Tochter von Königin Victoria und Ehefrau des unglücklichen 99-Tage-Kaisers Friedrich III. Das Denkmal auf dem Kaiser-Friedrich-Platz, das die Wiesbadener damals im Jahre 1897 viel zu prunkvoll und protzig fanden, erinnert uns auch heute noch an diese kluge und selbstbewusste Frau, die Deutschland auf den englischen Weg der parlamentarischen Monarchie bringen wollte.
Etwas kalt war es den Teilnehmerinnen und Teilnehmern mittlerweile geworden, daran änderten auch die warmen Dämpfe des Kochbrunnens nichts mehr. Zurück ging es im Eiltempo zum Rathaus, wo noch die Rede war vom großartigen Teppich des Festsaals, diesem Hochzeitsgeschenk von Königin Victoria für ihren Enkelsohn, den späteren Kaiser Wilhelm II, auf dem schon viele englische Gäste von der Stadt Wiesbaden empfangen worden sind. Und auf dem nach 2016 Einbürgerungsfeiern stattgefunden haben, an denen auffällig viele Engländer teilnahmen, die sich kurz vor dem Brexit neben ihrer britischen Staatsbürgerschaft auch noch die deutsche sichern wollten.
„Der englische Einfuss in Wiesbaden ist ja viel größer als gedacht“, so lautete das Urteil einiger Spaziergänger nach dem Rundgang auf englischen Spuren. Und dass wir die Stadtführung noch einmal wiederholen sollten, möglichst mit neuen Interessenten an der deutsch-englischen Städtepartnerschaft, aber dann ohne Pandemie und ohne Maske und bei schönstem Sommerwetter, das war die allgemeine Meinung nach einem erlebnisreichen Vormittag mitten im Zentrum von Wiesbaden.
Dr. Friedrich Schrecker
Vorsitzender der RTWWV